Labrador Blindenhund Tara

Kurts Umtriebe

Ich heiße Tara. Mit knapp zwei Jahren habe ich die Verantwortung für meinen Schützling Kurt übernommen. Wenn andere Menschen neugierig sind setzt Kurt meinem Rufnamen Tara den Nachnamen Labradora hinzu. Damit sind meine Rasse und mein Geschlecht geklärt. Im Übrigen bin ich kohlrabenschwarz.

Kurt war schon über 70 als ich begann mich um ihn zu kümmern. Er sieht kaum etwas. Für das Sehen bin ich zuständig. Unserem Rudel gehören noch Barbara und zwei Katzen an, die vor mir da waren. Die Katzen sahen im wahrsten Sinne des Wortes schwarz. Die aggressive Ablehnung von Luna und Momo habe ich behutsam in einem Dreivierteljahr abgebaut. Jetzt kommen sie zum Ausruhen zu mir in meinen Korb. Mein Rudel lebt im Frankfurter Stadtteil Preungesheim direkt am Grüngürtel.

Kurt ist den ganzen Tag mit mir zusammen. Barbara verschwindet an den meisten Tagen aus dem Haus. Sein Alter hindert Kurt nicht daran, sehr umtriebig zu sein. Für mich sind die Umtriebe Arbeit. Kurt sucht Plätze und Häuser auf, die ich während meiner Ausbildung zum Führhund nicht kennen gelernt habe. Davon möchte ich ein wenig berichten.

Häufig sind wir in Häusern unterwegs, in denen Kurt und sein Freund Gustav sich Bilder, Statuen und andere Gegenstände anschauen. Davon gibt es in Frankfurt eine ganze Menge. Kurt nennt sie Museen. Das positive an diesen Besuchen ist der Anmarsch. Er führt regelmäßig am Ufer eines großen Flusses entlang. Hier wechsele ich von der Führarbeit in den „Leinen-Modus“. Es gibt viel Rasen und darauf Gänse und Enten. Die mische ich ein wenig auf. Ins Wasser gehe ich hier nicht.

In den Museen gab es am Anfang Probleme, weil das Personal mich nicht reinlassen wollte. Kurt hat dann erst bei anderen wichtigen Menschen meinen Zugang durchgesetzt. Mittlerweile kennen uns drei die meisten Museumswärterinnen und -wärter und heißen uns herzlich willkommen.

So ein Museumsbesuch ist meist stocklangweilig. Ich liege dann im „Platz- und Bleib-Modus“ irgendwo auf dem Boden. Alle paar Minuten muss ich den Platz wechseln. Selten kann ich in einem großen Saal für längere Zeit liegen bleiben, während Kurt und Gustav sich ringsum die Kunstobjekte anschauen. Dabei muss Gustav viel vorlesen.

In einem Museum hat eine Wärterin mich für längere Zeit betreut. Da fiel der lästige Platzwechsel weg. In einem anderen Museum werden auch Gerätschaften wie Fahrräder und Milchkannen ausgestellt. In diesem Museum wurden Kurt und Gustav durch das Anlegen eines Ponchos selbst zum Kunstwerk. In diesem Haus habe ich dank einiger Wärterinnen sehr viel Freiheit zum Herumschnuppern. Kurt erzählt dann anderen Besuchern, dass ich zu ihm gehöre und kein Ausstellungsstück bin. Diese Wärterinnen kümmern sich auch um mich, wenn Kurt und Gustav in irgendwelchen dunklen Räumen und Zelten verschwinden.

Nach einer Weile, Kurt spricht von eineinhalb Stunden, mache ich ihn dezent darauf aufmerksam, dass es mir jetzt reicht. Den Rückweg ins Freie rufe ich auch bei verwinkelten Wegen durch mehrere Gebäude zielsicher aus meinem Gedächtnis ab. Am Flussufer erhole ich mich dann erst einmal.

 

Mit Barbara zusammen halten Kurt und ich uns von Zeit zu Zeit in großen Sälen auf in denen ein oder mehrere andere Menschen laute und leise Geräusche hervorbringen. Diese Ausflüge finden meistens am Abend statt. In den Sälen sind viele Sitzreihen, manchmal auch Bänke, aufgebaut. Wir sitzen meistens in der ersten Reihe, sodass ich Platz zum Liegen habe. Mit uns sind viele andere Menschen im Raum. Sie sind alle der Geräusche wegen gekommen, Kurt und Barbara nennen es Musik. Ich habe mich daran gewöhnt und höre geduldig zu. Nur wenn die Menschen begeistert in die Hände klatschen , wechsele ich schon mal geduldig meine Lageposition.

Je nach Ausflug sind die Geräusche sehr verschieden. Mal machen sich viele an unterschiedlichen Instrumenten zu schaffen. Einer steht vor ihnen und wedelt mit einem dünnen Stock. Für das Stöckchenspielen wäre er viel zu dünn. Mal ist es eine kleinere Gruppe. Mal müht sich eine Frau oder ein Mann ab, Geräusche ohne Instrument zu erzeugen. Das kann Kurt übrigens auch.

Im größten dieser Säle, Kurt nannte ihn Sendesaal, kam eine junge Frau zu uns in die erste Reihe und bot Kurt und Barbara an, mich mit hinter die Bühne zu nehmen, um meine Ohren zu schonen. An diesem Abend sollten viele Leute sehr laute Geräusche machen. Barbara und Kurt stimmten zu. Ich verbrachte die Zeit in liebevoller Betreuung von mehreren jungen Frauen. Kurt hatte, dem Hundegott sei Dank, die Tüte mit den Leckerlis mitgegeben. Die Geräusche aus dem Saal erreichten mich nur gedämpft.

In den Räumen mit Bänken werden die Geräusche nur von Detlef, einem Sohn von Kurt, erzeugt. Das Instrument konnte dabei leise und wie ein einzelnes Instrument oder sehr laut wie ganz viele Instrumente sowie alle Zwischenstufen erzeugen. Wenn Detlef bei diesen Gelegenheiten eine Begrüßungsrede hielt, wechsele ich an seine Seite. Schließlich gehört er zum erweiterten Rudel und ich stehe auch mal ganz gerne im Mittelpunkt.

 

An Tagen, an denen es draußen ruhig zugeht und Barbara zu Hause ist, machen wir Drei, uns vormittags in unserem Revier auf den Weg. Nach einer viertel Stunde erreichen wir ein großes allein stehendes Gebäude mit einem Turm. Drumherum ist es grün.

Wir treffen viele andere Menschen an. Artgenossen fehlen dagegen.

Drinnen nimmt Kurt mir Geschirr und Leine ab. Ich kann also erst einmal den Raum inspizieren. Fressbares findet sich in diesem Raum leider nie. Also begrüße ich die Leute, die ich kenne und nehme ersten Kontakt zu denen auf, die ich nicht kenne. Fressbares ist auch von denen nicht zu erwarten, aber eine Streicheleinheit tut auch gut. Dann suche ich mir einen Lagerplatz bei Kurt und Barbara. Die haben in einer Bank Platz genommen.

Auch hier geht es mit Geräuschen los, an denen sich von Zeit zu Zeit alle Anwesenden beteiligen. Dazwischen ist ein Mensch damit beschäftigt viel zu reden. Er hat als Einziger einen schwarzen Umhang an.

Ich nehme das alles in Platzmodus gelassen hin. Von Zeit zu Zeit stehen die Menschen auf. Dann wechsele auch ich in den Stehmodus.

Manchmal kommt Bewegung unter die Menschen. Sie verlassen ihre Sitzplätze und versammeln sich um einen Tisch. Da lasse ich meinen Schützling nicht allein. Ich reihe mich in den Kreis ein. Kurt und Barbara erhalten dann etwas zum Essen und Trinken, ich erhalte nichts. Stattdessen legt der schwarze Mann, der so viel geredet hat, die Hand auf meinen Kopf. Er könnte auch mir etwas zu essen geben oder mich wenigstens ein bisschen kraulen.

Am Schluss stehen alle auf. Der schwarze Mann vorne breitet beide Arme aus und spricht von Segen. „Jetzt bist auch du gesegnet“ sagt Kurt zu mir. So gesegnet legt mir Kurt das Geschirr an und ich mache mich wieder an die Arbeit.

 

(Fassung 28.01.2015)

Text und Copyright: Kurt Steffenhagen

Foto: Lena Peitzsch

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