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Hund am Strand

Führhunde Bericht

Reisen für Blinde

Mit Code-Nr. 14 kein Problem

Jetzt sind die Kinder aus dem Haus. Zeit für meine Frau und mich, mal Urlaub zu machen. Aber da ist ja noch mein Führhund. Bevor wir da die Hotels abfragen, ob wir das Tier mitbringen dürfen, fahren wir lieber gleich in ein Aura-Hotel. Da gibt’s keine Probleme mit der Lisa. Und wohin? Na klar! Als alte Ostsee-Fans am besten nach Timmendorf. Unser erster Urlaub mit vierbeiniger Begleitung kann aber nur drei Tage dauern. Mit dem Auto heißt das: Einen Tag hin und einen Tag zurückfahren. Zwei Tage im Auto und drei Tage im Hotel – das ist ein Mißverhältnis. Mit dem Zug? Ausgeschlossen. Über 10 Stunden im vollen bzw. überfüllten ICE, mit Verspätung und – wo kann der Hund mal müssen? Na, da fliegen wir doch einfach. Gibt ja von Hahn aus einen Direktflug nach Lübeck. Und – der Tourplaner von ADAC zeigt’s ohne Zweifel – vom Flughafen sind’s dann nur noch 20,4 km bis ins Aura-Hotel. Und die holen einen sogar ab. Ist doch eine tolle Sache. In 45 Minuten haben wir’s überstanden. Na dann mal los!

Reiner Burgard mit Blindenführhund Lisa
Reiner Burgard mit Blindenführhund Lisa

Vor den Abflug haben die Airelines die Buchung gesetzt. Und ddie geht bei Ryan Air nur über’s Internet. Also nix wie hin auf die Seite. Überraschung!!! Die ist echt gut zu handhaben. Zwar habe ich noch nie einen Flug gebucht – aber das klappt wirklich gut. So! Das hätten wir. Da habe ich doch gesehen, es gibt einen extra Link für behinderte Fluggäste. Gleich mal anklicken. Und dort steht’s: Behinderte Passagiere müssen aus Sicherheitsgründen ihren Flug VOR DER BUCHUNG anmelden. Das liegt daran, dass pro Maschine nur vier Behinderte mitgenommen werden dürfen. Oha! Da habe ich jetzt schon gebucht, bevor ich meinen Flug angemeldet habe. Aber, wird schon nix machen. Es ist wohl kaum zu erwarten, dass schon vier Behinderte gebucht sind. Aber sagen muss ich doch, dass ich mit will. Also: wie geht das? Ich klicke mich weiter und finde eine Liste von Behinderungen und Code-Nummern. Also mal sehen!

Im Rollstuhl sitze ich nicht. Ich bin blind. Aber ich reise nicht allein. Endlich hab’ ich mich und meine Reisebedingungen gefunden. Ich bin blind, reise mit Führhund und Begleitung und möchte am Flughafen keine Hilfe. Bin also CodeNr. 14. Gut merken – die 14. Denn ob ich das jemals wieder finde? Und wo sag’ ich jetzt Bescheid? Na klar. Da steht ja die Telefonnummer und die Öffnungszeiten für Passagiere aus Deutschland. Klappt ja prima. Ist doch echt wahr, dass Reisen für Blinde heute kein Problem mehr ist. Da könnte ich sogar allein fliegen. Wäre dann nur eine andere Code-Nummer. Das macht wirklich Mut.

Wenn ich zurück bin, schreibe ich darüber mal einen Artikel. Am besten für DBSV-Info. Damit auch andere Blinde sehen, wie einfach das alles geht. Aber bevor ich zurück bin, muss ich erstmal los. Also: Wie war die Telefonnummer? Und CodeNr. 14. Oder war’s 12? Nein! Jetzt kein selbstgemachter Psychoterror. 14 war die Nummer und sonst nix. Also anrufen. Und gleich ist sie da – die freundliche dienstbereite Automatenstimme, die mich auffordert, eine bestimmte Zahl zu wählen. Gemacht – und die Verbindung ist weg. War wohl doch die falsche Taste, die ich da gedrückt habe. Kommt ja vor. Auf jedenfall: CodeNr. 14. Nächster Versuch. Ich gebe erneut die Nummer ein – die Verbindung ist weg. Das ist jetzt doch komisch. Die Bürozeiten stimmen doch. Also ein dritter Versuch. Wieder ist die Verbindung tot. Da stimmt was nicht. Aber ich muss doch jemandem sagen, dass ich als CodeNr. 14 von Hahn nach Lübeck fliege. Oder – und da regen sich meine von Urzeiten ererbten saarländisch-antipreußischen Gene- sage ich überhaupt nix? Gebucht habe ich ja. Muss wirklich immer alles so preußisch buchstabengetreu abgehen? Der Ursaarländer in mir sagt ganz klar „nein“. Aber dann traue ich mich doch nicht. Was, wenn die mich nicht mitnehmen? Bei den Iren weiß man ja nicht so genau. Und meine Frau! Wie wird die reagieren? Besser gar nicht erst darüber nachdenken. Also zurück auf die Ryan-Air-Seite und die dort angegebene Service-Nummer angerufen.  „Ach ja, diese Nummer gibt’s schon lange nicht mehr“. Erfahre ich dort. „Sie müssen jetzt folgende Nummer anrufen:“. Die klingt echt ausländisch. Aber man ist da ja sicher auf deutsche Passagiere eingestellt. Also Mut gefasst und angerufen. Gleich hebt auch jemand ab. Was war denn das? Englisch war das wohl. Aber verstanden habe ich kein Wort. Naja, ich muss den ja auch nicht verstehen. Es kommt ja darauf an, dass der mich versteht. Ich also los vonwegen „Flight from Hahn to Lübeck, handycaped, blind, Code Number forteen. ‘Halt! Kann man ‘Code Nummer 14 wirklich übersetzen mit Code Number forteen?’ Zu spät. Es ist schon raus. Hätte ich mir halt früher überlegen müssen. Aber zum Nachdenken gibt’s weder Zeit noch Gelegenheit. Denn schon überschwemmt mich ein englisch-irischer Wortschwall so ungefähr „blindwithguidingdogwithoutassistence (übersetzt: blind  with  guiding  dog  without  assistence). Da wird jetzt von mir eine Reaktion erwartet. Ich bringe gerade noch ein gepresstes „Yes“ raus, dann ein kurzer Wortschwall und tot ist die Leitung. Atemholen. War’s das jetzt? Na hoffentlich. Machen kann ich da jetzt nichts mehr. Wird schon richtig gewesen sein.

Der Abflugtag kommt heran. Um 10.00 Uhr ist Start. Das Navi zeigt uns, wie lange wir zum Flughafen brauchen. Eine Stunde vorher müssen Behinderte dasein. Sie werden dann bevorzugt an Bord geführt. Ist schon toll. Der Hund muss zwischendurch ja sicher noch mal. Dafür also auch Zeit einplanen. Und dann sind wir da. Als Behinderter darf ich direkt ans Terminal und quasi vor der Haustür parken. Toll dieser Service. Jetzt gleich zum Schalter und meinen Abflug anmelden. Da wissen die erst mal nichts von CodeNr. 14. Wo denn meine Bestätigungs-Mail sei. Keine Ahnung. Die habe ich nicht bekommen. Müsste ich aber haben. Habe ich aber nicht. Macht nichts. Wir kriegen trotzdem einen Zettel und müssen zum nächsten Schalter. „Fliegen mit Hund? Davon wissen wir nichts“. Aber wir haben doch den Zettel. Na gut, dann halt. Weiter zur Sicherheitskontrolle. Die Schlange schiebt sich langsam vorwärts und wir sind – nein – wir wären dran. Denn mit Hund – da müssen wir erst mal aus der Schlange raus. Unsere Zettel nützen nichts. Denn das ist ein Fall für die Bundespolizei. Der Beamte ist wirklich freundlich und hat Humor. Seine Vorschriften sagen dann auch, dass ein Flug mit Blindenhund kein Problem ist, wenn er über Land geht. Naja. Wir fliegen ja nur ans und nicht übers Meer. Glück gehabt und wir dürfen in die Sicherheitskontrolle. Und das, was ich jetzt sage, ist echt so gewesen. Ich entferne alle Gegenstände aus Metall vom Körper. „Das geht schief“, denke ich mir, „Weil der Hund ja ein Metallteil am Halsband hat“. Meine Lisa geht schwanzwedelnd als Erste durch die Kontrolle. Der Beamte beugt sich über sie, tastet sie ab und lässt uns durch. Für mich interessiert er sich nicht. So! Jetzt soll ich ja bevorzugt an Bord. Aber das sieht etwas anders aus, als ich gedacht habe. Denn wir werden zurückgehalten und gehen als letzte Gäste ins Flugzeug. Ist aber auch egal. Drinnen ist die Stewardess gleich begeistert. In einem kaum zu verstehenden osteuropäisch geprägten Englisch erklärt sie uns, dass sie noch nie einen Hund an Bord hatte, kniet sich gleich hin und schmust voller Hingabe mit unserer Lisa. Für uns ist eine Dreierreihe reserviert. Meine Frau will ans Fenster. Der Hund legt sich gleich flach hin. Aber halt! So geht das nicht. Der Steward kommt gleich an und erklärt, dass ich aus Sicherheitsgründen am Fenster sitzen muss. Wie kriegen wir das jetzt noch hin? Meine Frau kann zwar aufstehen, aber nicht nach rechts. Weil vor ihr der Hund und ich neben ihr bin. Am Anfang der Sitzreihe steht der Steward und passt  auf, ob wir den Sicherheitsbestimmungen gemäß sitzen. Wir tauschen die Plätze. Mit der Akrobatennummer können wir wahrscheinlich im chinesischen Staatszirkus auftreten. Und jetzt werden mir die Sicherheitseinrichtungen erläutert. Von dem osteuropäischen Englisch kriege ich kaum was mit. Der Steward hat dauernd meine Hand und tippt mit meinen Fingern auf Atemmaske, Schwimmweste und was auch immer. Habe ich alles verstanden? Selbstverständlich. Nur keine Rückfragen. Denn das Flugzeug soll ja schließlich noch starten.

Das tut es dann auch und nach 45 Minuten sind wir in Lübeck. Die Dame vom Aura-Hotel ist schon da und nach 20 Minuten sind wir in Timmendorf.

Den Urlaub haben wir uns echt verdient. Und das mit dem Artikel für die Blindenzeitschrift überlege ich mir nochmal.

Verfasst mit Erlaubnis zur Veröffentlichung von Reiner Burgard Dezember 2012